Seit mehr als sechs Monaten ist in Deutschland das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft.
Nachdem jahrelang dafür auf CSDs protestiert wurde, beginnt nun der erste Pride-Month mit Selbstbestimmungsgesetz. Ein Bündnis aus verschiedenen Organisationen und engagierten Einzelpersonen, das die Informationswebseite sbgg.info verantwortet, veröffentlicht dazu eine Sammlung von Erfahrungsberichten rund um das Verfahren vom Prozess der Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen.
Dazu erklärt Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans*: „Dass das Selbstbestimmungsgesetz nach jahrzehntelangen Kämpfen endlich in Kraft getreten ist, hat vielen Personen Mut gegeben. Uns haben berührende und bestärkende Erzählungen erreicht, wie Personen ihren Geschlechtseintrag und Vornamen ändern konnten. Gleichzeitig wurde auch deutlich, dass es Anlaufschwierigkeiten gab. In der Mehrheit der eingereichten Erfahrungsberichte wurden die Personen, die eine Erklärung abgaben, respektvoll behandelt. Doch es gab auch Berichte, in denen dies nicht der Fall war und Personen verletzende Interaktionen erlebten.“
Das Gesetzgebungsverfahren und auch die erste Zeit nach dem Inkrafttreten des Gesetzes waren deutlich geprägt von Falschinformationen und trans*feindlichen Erzählungen. Die Perspektiven von trans*, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen kamen kaum vor. Mit der Sammlung von Erfahrungsberichten rund um den Prozess der Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen möchten wir diese Perspektiven und gelebten Realitäten auf das SBGG sichtbar machen. Uns haben Berichte aus unterschiedlichen Perspektiven erreicht: unter anderem von Menschen, die be_hindert werden, von Eltern von trans* Kindern, von Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit oder mit doppelter Staatsangehörigkeit.
Für viele war die Änderung erleichternd und das, wofür jahrelang gekämpft wurde: ein mehr oder weniger einfacher bürokratischer Akt. So schrieb beispielsweise Vimes: „Mein Termin beim Standesamt sowie mein anschließender Termin beim Bürgeramt waren freundlich und sachlich. Ich denke, ich hatte Glück. Die Personenstandsänderung und Vornamensänderung liefen im Grunde problemlos.“
Und Titus M. ergänzte im eigenen Bericht: „Ich bin insgesamt sehr froh, die Änderung vollzogen zu haben und fühle mich mit meinem neuen Namen und Geschlechtseintrag endlich ernst genommen. Ich kann mich mit mehr Selbstbewusstsein durch die Welt bewegen. Es macht mich geradezu euphorisch, ihn auf neue Dokumente schreiben zu dürfen oder Post zu bekommen, die an den Namen adressiert ist.“
Für Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit, etwa geflüchtete Personen, gilt dieses positive Fazit nicht. Der Weg der Änderung ist mit höheren Hürden versehen: „Im Beratungskontext mit Menschen, die keine Staatsangehörigkeit haben, sind die Erfahrungen leider nicht so positiv. Es gibt bei uns zwei Personen, die aus ihrem Land geflüchtet sind, in Deutschland einen Aufenthaltstitel bekommen haben und ihren Namen und Personenstand gerne ändern lassen wollen. Leider ist die bürokratische Hürde sehr groß, so dass die Verfahren bisher nicht abgeschlossen werden konnten.“
Auch Trans*feindlichkeit ist mit der Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes natürlich nicht beendet. Anfeindungen finden weiterhin statt, wie auch die jüngst veröffentlichten Zahlen zur politisch motivierten Kriminalität des Bundesinnenministerums (BMI) und Bundeskriminalamts (BKA) belegen. Diese Unsicherheit wird auch in Erfahrungsberichten wie dem von Lian, 16 Jahre alt, aufgegriffen: „Es fühlt sich an, als wäre ich endlich auch offiziell ich selbst, aber viele meiner Unsicherheiten wurden dadurch nicht beseitigt. Denn wenn ich als Mädchen gelesen werde oder Transfeindlichkeit bzw. LGBTQ-Feindlichkeit erfahre, rettet mich auch kein männlicher Geschlechtseintrag und Name.“. Auch bei internationalen Reisen ist die Sorge vor trans*feindlicher Diskriminierungserfahrung ein Thema, wie ein anonym veröffentlichter Bericht verdeutlicht: „Das X im Reisepass beunruhigt mich ehrlich gesagt – Reisen in die USA zum Beispiel habe ich für mich auch beruflich gerade komplett ausgeschlossen.“
Das Selbstbestimmungsgesetz ist dennoch ein wichtiger Meilenstein für trans*, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen: „Für uns alle – aber natürlich insbesondere für unsere Tochter – war das ein großer Tag, der sie ein Stück näher zu ihrer eigentlichen Identität geführt hat.“, sagt Diana, Mutter eines trans* Kindes.
Hintergrund
Die Erfahrungsberichte zu den Zitaten im Text der Pressemitteilung sowie eine Auswahl weiterer Berichte finden sich ab heute auf der Webseite sbgg.info in ausführlicher Form. Außerdem können dort Erklärungsberechtigte, Angehörige und Standesbeamt*innen Informationen zum Ablauf der Änderung und zu einzelnen Regelungen des Gesetzes sowie Hinweise auf Beratungsstellen abrufen.
Weiterlesen
- Erfahrungsberichte vom Prozess der Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen
- sbgg.info: Infowebseite mit weiteren Informationen zum Gesetz, einem Leitfaden für Erklärungsberechtigte u.v.m.
- Politisch motivierte Kriminalität und Queerfeindlichkeit auf neuem Höchststand
Dieser Text ist auch als Pressemitteilung des BVT* erschienen und kann als PDF heruntergeladen werden.