Deutschland wird seinen menschenrechtlichen Verpflichtungen zum Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt nicht gerecht

Zum heutigen internationalen Tag der Menschenrechte stellt der Bundesverband Trans* als Teil des Bündnisses Istanbul-Konvention (BIK) das Thema geschlechtsspezifische Gewalt in den Mittelpunkt.

Bereits Ende November ist der zweite Alternativbericht zur Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland erschienen. Verfasst von dem BIK wurde er GREVIO, dem unabhängigen Expert*innengremium des Europarats vorgelegt. Der Bericht zeigt, auf welche Weisen Deutschland seinen menschenrechtlichen Verpflichtungen zum Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt nicht gerecht wird: Mit der Ratifizierung der Istanbul-Konvention hat sich die Bundesregierung verpflichtet, wirksamen Schutz zu gewährleisten und Gewalt systematisch abzubauen. Doch die Realität zeigt ein anderes Bild. Während die Gewalt zunimmt, bleibt die Umsetzung der Konvention fragmentiert und unverbindlich. Es bestehen weiterhin massive Lücken beim Schutz vor geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt. Es fehlt zudem an einer klaren Verbindlichkeit bei der bundesweiten Umsetzung der Maßnahmen. Vor allem intersektionale Defizite und Schutzlücken werden weiterhin nicht ausreichend berücksichtigt.

Tilly Reinhardt, Referent*in für Gesellschaftspolitik beim Bundesverband Trans* sagt dazu:

„Der Bundesverband Trans* kritisiert, dass sich der rechtliche Schutz, wie er in der Istanbul-Konvention gefordert wird, und die Realität zum Schutz von Gewaltbetroffener immer weiter auseinander driften. Dies betrifft im besonderen Maße trans* Frauen aber auch trans* Männer und nicht binären Personen.“

Der Bericht benennt drei zentrale Kritikpunkte:

1. Mangelnde Verbindlichkeit und fehlende Intersektionalität

Die vorgelegte Gewaltschutzstrategie der Bundesregierung erwähnt zwar intersektionale Perspektiven, wendet sie aber nicht grundlegend als Konzept an.

Dazu sagt Dr. Delal Atmaca von DaMigra: “Vulnerable Gruppen, darunter Frauen mit Behinderungen, Geflüchtete, wohnungs- und obdachlose Frauen, Sintizze und Romnja sowie trans, inter und queere Personen, haben durch institutionelle Hürden, diskriminierende Praktiken und fehlende Ressourcen kaum oder nur sehr erschwerten Zugang zum Hilfesystem.

2. Es braucht einen grundlegenden Paradigmenwechsel

von Leuchtturm-, Pilot- und Modellprojekten hin zu flächendeckenden, nachhaltig finanzierten und diskriminierungsfreien Strukturen im Gewaltschutz, welche die gewonnenen Erkenntnisse aufgreifen und umsetzen.

Dazu sagt Katja Grieger vom bff: “Es ist völlig unhaltbar, dass es immer noch strukturelle Defizite in der Finanzierung der gesamten Arbeit gegen geschlechtsspezifische Gewalt gibt. Das betrifft auch die Bundesebene: die Berichterstattungsstelle zur Istanbul-Konvention ist entgegen der Forderung der Konvention bisher nicht abgesichert. Wenn wir Pech haben, ist sie ab 2027 einfach weg.”

3. Rechte Gewalt verschärft das Klima

Das Bündnis warnt: Antifeminismus, Rechtspopulismus und Kürzungen im sozialen Bereich gefährden den Schutz von Gewaltbetroffenen. Besonders restriktive migrationspolitische Maßnahmen, wie die geplante Umsetzung der GEAS-Reform, drohen den Zugang zum Hilfesystem für geflüchtete und migrierte Gewaltbetroffene weiter einzuschränken.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen – unabhängig davon, ob sie cis, trans*geschlechtlich, nicht-binär oder intergeschlechtlich sind – sowie Gewalt gegen nicht-weiblich identifizierte trans*, nicht-binäre und intergeschlechtliche Personen stellt eine massive Verletzung ihrer Menschenrechte dar. Diese Menschenrechtsverletzungen müssen beendet werden.

Das Bündnis Istanbul-Konvention hat daher zudem eine Liste mit 10 Kernforderungen erarbeitet. Das Bündnis Istanbul-Konvention fordert die Bundesregierung und die Länder auf, diese Forderungen umgehend umzusetzen und damit ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen aus der Istanbul-Konvention endlich nachzukommen.

Hintergrund:

Das Bündnis Istanbul-Konvention setzt sich aus zivilgesellschaftlichen Organisationen, Expert*innen und Fachverbänden zusammen, die für den Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt arbeiten und sich für die vollständige Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland einsetzen. Auch der Bundesverband Trans* ist Mitglied. Die Liste aller Mitglieder kann im Impressum des Berichts eingesehen werden. Weitere Informationen zum BIK sind auf der Webseite des Bündnisses zu finden:

www.buendnis-istanbul-konvention.de.

Der Alternativbericht des Bündnisses Istanbul Konvention (BIK), der in einem fast einjährigen Prozess unter Einbezug von Fachstellen, Selbstorganisationen und Betroffenenperspektiven erarbeitet wurde, beleuchtet diese Versäumnisse detailliert und zeigt den akuten Handlungsbedarf auf. 2021 hatte das Bündnis einen ersten Alternativbericht erstellt. In Folge dessen hatte GREVIO bereits 2022 erhebliche Mängel in der Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland aufgezeigt.

Zum Weiterlesen:

Die 10 Kernforderungen des Bündnis Istanbul-Konvention.

Der erste Alternativbericht des BIK aus dem Jahr 2021.

Der zweite Alternativbericht des BIK aus November 2025.

Die Publikation „Monitor im Fokus – Femizide in Deutschland“ des Deutschen Institutes für Menschenrechte, erschienen im Dezember 2025.

Grafik. Da steht: "Internationaler Tag der Menschenrechte: Deutschland erfüllt nicht seine Verpflichtungen zum Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt." Schwarzer Text auf gelbem Hintergrund. Über dem gelben Textfeld ist eine Zeichnung zu sehen. Einer Person, deren Augen von fremden Händen verdeckt werden. Daneben befindet sich das Logo des Bündnisses Istanbul-Konvention. Am oberen Rand der Kachel steht "Presseerklärung des BVT 10. Dezember 2025". Schwarzer Text auf weißem Hintergrund. Die Kachel hat einen türkisfarbenen Rahmen.