Mit dem Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) wurde das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik ein menschenrechtskonformer Zugang zu Vornamens- und Personenstandsänderungen für trans*, intergeschlechtliche und nicht-binäre Personen geschaffen. Doch die jetzt geplanten Änderungen im Meldewesen (BR-Drucksache 419/25) drohen, diesen Erfolg wieder auszuhöhlen.
Bereits im Juli hat das Bundesinnenministerium Verordnungsentwürfe für verschiedene Änderungen des Meldewesens vorgelegt, die unverhältnismäßig in Grundrechte von trans*, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen eingreifen. Mit der Einführung neuer Datenblätter (0702–0704 und 0304–0305) würden die Angaben über den ehemaligen Geschlechtseintrag, das Datum der Änderung sowie der abgelegte Vorname künftig zum persönlichen Datensatz einer Person gehören. Wer Einsicht ins Melderegister hat, sieht sofort, dass eine Person trans*, intergeschlechtlich oder nicht-binär ist – auch wenn dies für den konkreten Verwaltungszweck keinerlei Relevanz hat. Nach Bekanntwerden kam in den Communities die Angst auf, dass damit sogenannte „rosa Listen“ angelegt werden könnten. Diese wurden in der Weimarer Republik geführt und haben die die Verfolgung von LSBTIQ*-Personen im Nationalsozialismus vereinfacht.
Anfang September hat das Bundesinnenministerium eine überarbeitete Version der Verordnungen zur Zustimmung an den Bundesrat übersandt, über die am 17.10. abgestimmt wird. Die Grundrechtseingriffe sind nach wie vor unverändert geplant. Neu ist einzig ein Zusatz, der festschreibt, dass eine gezielte Suche nach trans*, intergeschlechtlichen und nicht-binären Personen im System ausgeschlossen sein soll. Wie dies sichergestellt werden soll, bleibt unklar. Der Bundesratsausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat dem Bundesrat empfohlen, die melderechtlichen Änderungen abzulehnen.
Robin Ivy Osterkamp aus dem Vorstand des Bundesverband Trans* sagt dazu: „Statt Selbstbestimmung konsequent umzusetzen, sieht der Entwurf vor, dass trans*, intergeschlechtliche und nicht-binäre Personen zwangsgeoutet werden. Statt – wie zu Zeiten des sogenannten “Transsexuellengesetzes” (TSG) – die ehemaligen Daten mit einer Meldesperre vor unberechtigtem Zugriff zu schützen, sollen der abgelegte Vorname und der abgelegte Personenstand nun auf den ersten Blick in den Meldedaten sichtbar sein. Und das ohne Erfordernis; bleibt doch die Nachvollziehbarkeit durch das Geburtenregister bestehen. Damit entsteht faktisch eine ‚Lebensakte Trans*‘. Selbstbestimmung bedeutet, dass die Gegenwart zählt. Die geplante Verordnung aber macht unsere Vergangenheit dauerhaft sichtbar. Statt Sicherheit zu schaffen, produziert die geplante Verordnung neue Risiken für Diskriminierung. Sie befeuert zudem die trans*feindliche Erzählung, dass Menschenrechte für trans*, intergeschlechtliche und nicht-binäre Personen gefährlich wären. Das ist ein klarer Rückschritt. Besonders in einem politischen Klima, in dem trans*, intergeschlechtliche und nicht-binäre Personen als Feindbild stilisiert werden.“
Dazu erklärt Julia Monro aus dem Bundesvorstand des LSVD⁺ – Verband Queere Vielfalt: “Trans*feindlichkeit nimmt weltweit zu. Die Communitys haben die berechtigte Sorge, dass generell eine systematische Erfassung von geschlechtlicher Vielfalt erfolgt. Dass der persönliche Datensatz um die besonders sensiblen Informationen zum früheren Geschlechtseintrag erweitert wurde und diese Daten umfangreicher weitergegeben werden, höhlt das Recht auf geschlechtliche und informationelle Selbstbestimmung aus. Diese dauerhafte ‘Markierung’ ist absolut unverhältnismäßig und war in mehr als 40 Jahren TSG nie erforderlich. Das SBGG hat kein neues Ergebnis im Vergleich zum TSG. Am Ende stehen jeweils neue Vornamen und/oder ein neuer Geschlechtseintrag. Daher ist die geplante Änderung nicht nachvollziehbar und die Argumente des BMI lediglich vorgeschoben. Zudem kritisieren wir, dass derart sensible Fragestellungen überhaupt in Form einer Verordnung geregelt werden und nicht per Gesetzesentwurf, der dann im Bundestag diskutiert werden würde. Die Landesregierungen müssen jetzt die Kritik der Community und des Familienausschusses ernst nehmen und dieses Zwangsouting verhindern.”
Unsere Kritikpunkte:
- Dauerhafte Sichtbarkeit: Die Transgeschlechtlichkeit einer Person ist unmittelbar aus dem Datensatz erkennbar.
- Sondermarkierungen: Spezielle Datenfelder für trans*, intergeschlechtliche und nicht-binäre Personen stigmatisieren, statt Gleichbehandlung zu sichern.
- Offenbarungsverbot wird unterlaufen: Das SBGG garantiert Schutz – die Verordnung schwächt ihn ab.
- Zwangs-Outings: Zugriff auf die Daten gefährdet Privatsphäre und Sicherheit von trans*, intergeschlechtlichen und nicht-binären Personen.
- Unverhältnismäßigkeit: Der Eingriff in das Recht auf informationelle und geschlechtliche Selbstbestimmung ist nicht notwendig! Die Nachvollziehbarkeit einer Person ist bereits jetzt gewährleistet.
Robin Ivy Osterkamp sagt dazu weiter: „Das TSG hat Menschenrechte verletzt. Viele Personen haben das Gesetz daher nicht genutzt – und mussten sich in Folge dessen alltäglich Diskriminierung aussetzen. Das Ziel des Selbstbestimmungsgesetzes war es, Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierungen abzubauen. Wenn die geplanten Änderungen im Meldewesen umgesetzt werden, verletzen diese jedoch erneut die Grundrechte von trans*, intergeschlechtlichen und nicht-binären Personen. Warum müssen trans*, intergeschlechtliche und nicht-binäre Personen immer wieder Menschenrechtsverletzungen hinnehmen, wenn sie in Deutschland ihren Vornamen und Personenstand ändern wollen?“
Der Bundesverband Trans* und der LSVD⁺ – Verband Queere Vielfalt fordern daher den Bundesrat dazu auf, die Verordnung in der vorliegenden Fassung abzulehnen.
Hintergrund:
Die Entwürfe für eine neue Bundesdatenmeldeverordnung sehen vor, dass der frühere Geschlechtseintrag und der vorherige Vorname wie auch das Datum der Änderung der Daten nach Selbstbestimmungsgesetz sichtbar im persönlichen Datensatz einer Person erfasst werden. Begründet wird dies mit Nachvollziehbarkeit und dem Wunsch, Personen identifizieren zu können. Zudem soll die Weitergabe dieser Daten bei einem Umzug und an die Datenstelle der Rentenversicherung und für das Bundeszentralamt für Steuern ermöglicht werden.
Deutschland führt jedoch seit 1981 Vornamens- und Personenstandsänderungen durch.Die Identifizierbarkeit einer Person ist stets gewährleistet. Aus Sicht des BVT* und des LSVD⁺ ist der massive Eingriff in das Recht auf informationelle und geschlechtliche Selbstbestimmung daher nicht erforderlich und somit unverhältnismäßig. Die Sitzung des Bundesrats, bei der voraussichtlich über die Meldedatenverordnung abgestimmt werden wird, ist für den 17.10. angesetzt.
Weiterführende Links:
Stellungnahme des BVT* zum ersten Entwurf der Verordnung (Juli 2025)
Stellungnahme des LSVD⁺ zum ersten Entwurf der Verordnung (Juli 2025)