Trans Day of Remembrance 2023

Trans*feindlichkeit auf dem Vormarsch: Gewalttaten gegen queere Personen in Deutschland nehmen zu / Weltweit bleiben die Zahlen der Morde an trans*, nicht-binären und gender-nonkonformen Personen auf einem hohen Niveau / Der Trans Day of Remembrance (TDOR) am 20.11. erinnert an die trans*, nicht-binären und gender-nonkonformen Personen, die aufgrund weltweit existierender Trans*feindlichkeit durch Gewalt und Diskriminierung sterben.

In diesem Jahr meldet das Trans Murder Monitoring der Menschenrechtsorganisation TGEU weltweit 320 Personen, die aufgrund von Trans*feindlichkeit getötet wurden. Die überwiegende Mehrheit unter ihnen sind Schwarze und indigene trans*feminine Personen oder trans*feminine Personen of Color. Viele der Getöteten hatten Migrationserfahrung, viele waren Sexarbeiter*innen. Trans*feindlichkeit, Rassismus und Sexarbeiter*innen-Feindlichkeit zeigen sich in diesen Statistiken seit Jahren als eine der tödlichsten Intersektionen verschiedener Marginalisierungen. Drei Viertel der Getöteten waren zum Zeitpunkt ihres Todes zwischen 19 und 40 Jahre alt. Mehr als ein Drittel der Morde fand auf offener Straße statt, ein weiteres Viertel in der Wohnung der Getöteten. Das Trans Murder Monitoring gibt es seit 2008. Anfang der 2010er Jahre lagen die gemeldeten Opferzahlen deutlich niedriger mit beispielsweise 238 im Jahr 2013. Mit 375 Morden wurde im Jahr 2021 die höchste Zahl seit Beginn der Erfassung gemeldet. Die Werte bleiben damit auf einem seit Jahren konsistent hohen Level.

Die Zahlen sind erschütternd, Handlungsbedarf ist dringend gegeben: Trans*, nicht-binäre und gender-nonkonforme Personen müssen stärker und selbstverständlicher geschützt werden, sowohl rechtlich als auch durch gesamtgesellschaftliche Sensibilisierung und Aufklärung zu geschlechtlicher Vielfalt. Aktuell dominieren trans*feindliche Ressentiments, Vorurteile und Fehlinformationen den öffentlichen und medialen Diskurs, angetrieben von verschwörungsideologischen, rechtsextremistischen und antifeministischen Dynamiken. Ein Resultat ist die Abnahme gesellschaftlicher Akzeptanz und die Zunahme von Trans*feindlichkeit auf allen Ebenen von Gesellschaft und Politik. Diese Trans*feindlichkeit kostet Menschenleben “, sagt Dr. Tuuli Reiss, Fachreferent*in für Gesundheitspolitik und Gewaltschutz beim Bundesverband Trans*.

Viele der Diskussionen, die rund um das Selbstbestimmungsgesetz geführt werden, sind dafür symptomatisch: Der Schutz der Menschenrechte trans*, inter und nicht-binärer Personen sollte eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein. Stattdessen werden diese Menschenrechte verstärkt als diskutabel, teils problematisch oder gar gefährlich eingeordnet.

In den Diskussionen um die Asylpolitik Deutschlands und der EU werden LSBTIQ*-Personen ebenfalls nicht mitgedacht. Die jüngsten Beschlüsse schränken die Möglichkeiten, Schutz zu suchen, auch für LSBTIQA*-Geflüchtete stark ein. Insbesondere politische Absichtserklärungen zu Asylverfahren außerhalb der EU-Grenzen sowie Unterbringung in Massenunterkünften und die Einschränkung des Zuganges zu juristischer, sozialer und medizinischer Unterstützung widersprechen radikal dem Grundrecht auf ein faires, sicheres Asylverfahren besonders für vulnerable Gruppen wie trans*, inter und nicht-binäre Geflüchtete.

Jüngst wurde vom Bundessozialgericht die Kostenübernahmen von geschlechtsangleichenden Maßnahmen in Frage gestellt. Die Urteilsbegründung ist noch nicht veröffentlicht, doch in den Communities wächst die Sorge.

Weder die Anerkennung im eigenen Geschlecht, noch das Recht, Asyl zu suchen, noch lebenswichtige medizinische Versorgung sollten diskutiert werden müssen. Eine Demokratie muss sich daran messen lassen, unter welchen Bedingungen marginalisierte Personen leben und wie ihr Zugang zu gesellschaftlicher Teilhabe und ihre Menschenrechte gewährleistet sind“, so Tuuli Reiss vom BVT* dazu weiter.

Diese Diskussionen rund um den Trans Day of Remembrance führen zu müssen, ist besonders schmerzhaft: An diesem Gedenktag trauern die Communities nicht nur um ermordete Personen, sondern auch um die Toten, die in keiner Statistik erfasst werden: Die Personen, die sich außerstande sehen, aufgrund der alltäglichen Trans*feindlichkeit weiter zu leben, die Personen, die aufgeben, weil sie keine Hoffnung sehen, ein sicheres und selbstbestimmtes Leben führen zu können und respektiert zu werden. Die Personen, die nie die Chance zu einem Coming-out hatten. Die Personen, deren Tod nie aufgeklärt wurde, die Personen, die unter abgelegtem Namen begraben wurden. Die Personen, denen Grundrechte und gesellschaftliche Teilhabe verweigert werden und die keine Unterstützung erfahren, sondern Ausgrenzung, Diffamierung und Ablehnung.

Je selbstverständlicher trans*feindliche Erzählungen in einer Gesellschaft weitergetragen werden, desto mehr Gewalt sind trans*, nicht-binäre und gender-nonkonforme Personen ausgesetzt“, führt Tuuli Reiss vom BVT* weiter aus: Erst im Oktober waren nach einer kleinen Anfrage Zahlen des Bundeskriminalamts veröffentlicht worden, die steigende Zahlen bei politisch motivierten Übergriffen zeigen: von 404 im Jahr 2020 über 556 in 2021 auf 718 im Jahr 2022. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2023 wurden bereits 420 Fälle aktenkundig. Seit 2020 hat sich damit die Zahl der gemeldeten Fälle beinahe verdoppelt. Die meisten Gewalttaten lassen sich Ideologien aus der rechten und rechtsradikalen Szene zuordnen.

Es ist höchste Zeit, dass Politik und Zivilgesellschaft gemeinsam und konsequent Schutz vor Gewalt für trans*, inter und nicht-binäre Personen gewährleisten – insbesondere diejenigen, die von Mehrfachmarginalisierung betroffen sind.

Trans* und queerfeindliche Gewalt ist Gewalt, die besonders Schwarze, migrantisierte, und/oder geflüchtete Menschen betrifft. Wir brauchen starke Bündnisse und Verbündete, die Gewalt intersektional betrachten und gegen mehr als nur ein Machtverhältnis arbeiten. Der TDOR soll Raum zum Trauern geben, angesichts einer Gesellschaft, die Gewalt gegen trans*, nicht-binäre und gender-nonkonforme Personen oft gar nicht zur Kenntnis nimmt. Der Tag soll aber auch wachrütteln und uns verbinden: Um gemeinsam entschlossen für die Personen zu kämpfen, die noch am Leben sind. Um Lebensumstände und Menschenrechtslagen so weit zu verbessern, dass jede trans*, nicht-binäre und gender-nonkonforme Person die Anerkennung, Ressourcen und Unterstützung erhält, die sie braucht und sich wünscht“, sagt Robin Ivy Osterkamp aus dem Vorstand des BVT*.

Weiterführende Links

Die Ergebnisse des Trans Murder Monitorings:

Interaktive Karte der Morde nach Ländern und Jahren aufgeschlüsselt:

Zahlen zu queerfeindlicher Gewalt:
https://dserver.bundestag.de/btd/20/085/2008511.pdf

Viereckig mit pastellfarbenem Hintergrund. In der Mitte steht eine weiße Kerze mit einer Flamme in den Farben der Trans-Flagge. Hellblau, hellrosa und weiß. In der Mitte der Kerze befindet sich ein hellviolettes Herz mit der Zahl 320, der Zahl der im letzten Jahr getöteten Trans Menschen. Über der Kerze in Form eines Bogens steht in schwarzer Schrift: Trans Day of Remembrance.