IDAHOBITA: Langsamer Fortschritt angesichts zunehmender Gewalt und Anfeindung

Am 17.05. wird seit 2005 jährlich der internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter-, Trans*- und Asexuellenfeindlichkeit (IDAHOBITA) begangen. Der Aktionstag geht auf die Entpathologisierung von Homosexualität im Jahr 1990 durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zurück. Jedes Jahr veröffentlichen die europäischen Dachverbänden ILGA Europe (International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association) und TGEU (Transgender Europe) zum 17.05. interaktive Karten, die Fort- und Rückschritte bei der Gleichstellung von LSBTIQA* festhalten. Dafür werden Daten zu Menschenrechten und Diskriminierung aus 54 europäischen und zentralasiatischen Staaten erhoben und analysiert.

Mit einem Index-Wert von 54,94% befindet sich Deutschland weiterhin im Mittelfeld des europäischen Vergleichs und bleibt damit unverändert auf Platz 15. Positiv werden im Ranking das Einsetzen eines Queerbeauftragten, die parlamentarische Würdigung queerer Opfer des Nationalsozialismus und der Beschluss des Aktionsplans „Queer leben“ bewertet. Darüber hinaus werden die Vorbereitungen für ein Selbstbestimmungsgesetz begrüßt. Gleichzeitig konstatieren ILGA und TGEU weiterhin Versäumnisse bei der Dokumentation und Bekämpfung von LSBTIQA*-feindlicher Hassrede und Gewalt, dem Abbau von Pathologisierung in der Gesundheitsversorgung sowie der rechtlichen Gleichstellung von Regenbogenfamilien.

„Es ist ermutigend, dass erste queerpolitische Projekte der Bundesregierung angegangen werden und Diskriminierung gegenüber LSBTIQA* Personen Stück für Stück abgebaut wird. Der Aktionsplan ‚Queer leben‘ wurde vergangenes Jahr durch die Bundesregierung auf den Weg gebracht. Nun gilt es für eine ausreichende Finanzierung der Maßnahmen zu sorgen, damit diese zügig umgesetzt werden können. Insgesamt muss leider festgehalten werden, dass der Fortschritt im Bereich der LSBTIQA* Rechte in Deutschland weiterhin zu langsam verläuft. Es bleibt noch viel zu tun. Über das Selbstbestimmungsgesetz wurde im vergangenen Jahr vor allem diskutiert. Es ist dringend notwendig, dass wir bei diesem Projekt keine weitere Zeit verlieren und ein Selbstbestimmungsgesetz so bald wie möglich verabschiedet wird“ erklärt Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans*.

In anderen Ländern gab es mit Blick auf Selbstbestimmungsgesetze in den vergangenen zwölf Monaten mehr Bewegung. Die Liste der europäischen Staaten, in denen Gesetze für geschlechtliche Selbstbestimmung gelten, wuchs 2023 mit Spanien und Finnland auf elf Länder, die sich damit zu Belgien, Dänemark, Island, Irland, Luxemburg, Malta, Norwegen, Portugal und der Schweiz gesellen. Der TGEU-Bericht ‚Self-Determination Models in Europe‘ stellt in Ländern mit Selbstbestimmungsgesetz überwältigende Verbesserungen für Gleichstellung, Sicherheit und Lebensqualität für trans* und nicht-binäre Personen fest. Daneben konnte der Bericht anhand von Daten belegen, dass sämtliche Befürchtungen unbegründet sind, ein Selbstbestimmungsgesetz bedeute eine Verschlechterung für die Gesamtbevölkerung.

International stellen ILGA und TGEU trotz rechtlicher Fortschritte einen Anstieg an LSBTIQA*-feindlicher Gewalt, Hassrede und Straftaten sowie eine eindeutige Verschärfung queerfeindlicher Ressentiments in öffentlichem Diskurs und Medien fest. Insbesondere trans* und nicht-binäre Personen sind von der verstärkten LSBTIQA*-feindlichen Gewalt betroffen. Auch in Deutschland nimmt die Anzahl der dokumentierten Hassverbrechen gegen trans*, intergeschlechtliche und nicht-binäre Personen zu. Im aktuellen Bericht des Bundesinnenministeriums (BMI) und Bundeskriminalamts (BKA) zur politisch motivierten Gewalt stieg die Anzahl der polizeilich erfassten Gewalttaten von 340 auf 417 im Vergleich zum Vorjahr. Das entspricht einem Anstieg von 22,6%.

„Dass wir in Deutschland nur schleppend beim Abbau von Diskriminierung gegenüber LSBTIQA* Personen vorankommen, ist besorgniserregend. Während wir über die dringend notwendigen politischen Reformen diskutieren, werden jedes Jahr höhere Zahlen für trans*feindliche Gewalt gemeldet. Wir müssen uns ein Vorbild an den Ländern nehmen, die hier schon deutlich mehr erreicht haben“ so Kalle Hümpfner weiter. 

Im Ranking von ILGA verbleibt Malta das achte Jahr in Folge auf Platz 1 mit einem Index-Wert von 89,29%. Belgien (76,37%) befindet sich auf Platz 2 und kann durch positive Entwicklungen bei der Datenerhebung zu LSBTIQA* sowie durch den Beschluss eines queeren Nationalen Aktionsplans Fortschritte verbuchen. Dänemark (75,54%) folgt auf Platz 3 nach Inkrafttreten eines Gleichstellungsgesetzes im Januar 2023.

Während viele europäische Staaten weiterhin Fortschritte mit Blick auf Selbstbestimmung und Menschenrechte von LSBTIQA*-Personen verzeichnen, intensivieren sich gleichzeitig vielerorts Gewalt, Hassrede und Ressentiments. Dazu fügt Kalle Hümpfner abschließend hinzu: „Die diesjährige Zwischenbilanz gibt Anlass für vorsichtigen Optimismus und Sorge zugleich. Wir müssen dringend ins Handeln kommen und entschieden entgegensteuern, wenn Gewalt und Diskriminierung zunehmen.“

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Kachel zum IDAHOBITA 2023 mit erweiterter Progress Flag und einem Herz darauf